Fehlende Entwicklung als Ursache von Störungsbildern bei Kindern – Vortrag beim Lehrertag des BLLV

24 März 2011

Fehlende Entwicklung als Ursache von Störungsbildern bei Kindern – Vortrag beim Lehrertag des BLLV

Fehlende Problemeinsicht bei Eltern, ein Jahr Vorschule als neue Pflichtaufgabe und die Entwicklungspsychologie nach alter Freud’scher Prägung, wonach Störungen im Erwachsenenalter bereits im frühen Kindersalter entstehen. Piaget lässt grüßen! Die Ausnahme, hin und wieder gestörte Kinder in Kindergarten oder Schule zu haben, wird zur Regel! …Ich bin jetzt noch ganz hin und weg über diesen Vortrag "Gestörte Kinder -Schwierige Eltern" von Dr. Michael Winterhoff beim Würzburger Lehrerinnen und Lehrertag des BLLV.

Bereits während des Vortrags diskutierte ich mit dem unterfränkischen BLLV-Vorsitzenden, Gerhard Bless, über die weitreichenden Erkenntnisse des Psychologen.



Zu Beginn seiner Ausführungen hatte Winterhoff nicht zu viel versprochen und meinte, sie werden sicherlich noch einige Tage darüber nachdenken. Das ist so und alles andere wäre auch unnormal, denn das was der Kinder- und Jugendpsychiater da von „Metaebenen, zunehmenden und sich ständig verändernden Störungsbildern bei Kindern und der Ohnmacht mancher Eltern“ berichtete, das war erhellend und erschreckend zugleich. Eine Lehrstunde der besonderen Art!

"Am besten das Denken einstellen", forderte er die rund 400 Zuhörer in der Heuchelhof Mittelschule auf, und wir gehorchten. Dass es 50 Prozent der Jugendlichen in Deutschland an Ausbildungsreife fehle, das sind die nackten Zahlen aus der jüngsten Studie der Bundesregierung. Ein Ausflug in die Tiefenpsychologie erklärt uns, dass Störungen im Laufe des Lebens durch die einwirkenden Umstände und Umwelt entstehen.

Im vergangenen Jahrzehnt ist eine dauernde (Ver)Änderungen der Störungsbilder festzustellen. Als Ursache liegt eine fehlende Entwicklung der Psyche zugrunde! So kann das Urvertrauen bei einem Baby bereits in Gefahr kommen, wenn bei einem schreienden Säugling Eltern sich nicht umgehend um ihn kümmern. Ist ein Baby hingegen 8 oder 9 Monate alt, so muss es Warten ertragen können, nur so entwickelt sich Frustrationstoleranz.

Erschreckend die Zahlen und Fakten: Waren vor 15 Jahren bestenfalls zwei Kinder pro Klasse mit Störungsbildern betroffen, so ist es heute fast jedes zweite Kind! Aber nicht nur die Zunahme der Störungsbilder, sondern auch deren Veränderung schnellt in den letzten Jahren exponentiell in die Höhe.

Der Beziehungsaufbau zu einem Menschen zählt als Schlüssel zum Erfolg. Eigentlich sollte ein 3jähriges Kind in der Lage sein, seinen Gegenüber (also seine Eltern) zu erkennen und zu ihnen eine Beziehung aufbauen können. Ein 5jähriges Kind sollte in der Lage sein Konflikte auszuhalten. Von Natur aus will ein grundschulreifes Kind weiterkommen, es geht für die Eltern in die Schule. Die Phase der Internalisierung setzt im Laufe der nächsten Schuljahre ein, denn dann geht das Kind für den Lehrer in die Schule. Und mit 16 Jahren setzt dann die sogenannte Ich-Denken-Phase ein.

Aber wie sieht es bei den "modern gestörten Kindern" unserer heutigen Zeit aus? Winterhoff erzählt: "Die Kinder lassen mich auf Ansprache hin warten, sie sind verlangsamt und nicht begeisterungs- u schwingungsfähig. Das Kind weiß nicht einmal, warum es beim Psychiater ist. Es ist unwissend und hat einen Reifegrad  eines 6 bis 8 Monate alten Kindes!"

Diesen Kindern fehlt das Denksystem Hierarchie! Dies hat seine Ursache, dass die Kinder spätestens seit den 90 er Jahren von den Erwachsenen, egal ob Eltern, Erzieherinnen oder Lehrern, eher als Partner statt als Kinder im hierarchischen Denksystem angesehen werden. Diese Veränderungen sind im Wesentlichen der Veränderung des Personalschlüssels im Kindergarten, der immer mehr vorhandenen Flexibilität der Gruppen, fehlender gleicher Abläufe und eines festen Tagesprogrammes geschuldet. In den Grundschulen, so Winterhoff, dominiere zu viel Freiarbeit und wechselhafter Unterricht, sodass das Gehirn nicht in der Lage ist einen "Aufbau" zu machen. Im Alter von 10-12 Jahren müssten Kinder geführt werden, so der Referent. Es gehe um Einüben, beispielsweise benötige die Nervenzelle für die Automatisieren des Waschens und Duschens 12 Jahre um sich zu entwickeln.

Deshalb müsse man das Kind als Kind sehen, damit sich bei diesen die psychischen Funktionen ausbilden. "Unsere jetzigen Kinder mit den verschiedensten Störungsbilder sind partnerschaftlich groß geworden". Sie verfügen über keine Lernleistungsbereitschaft und sind nicht konfliktfähig. Immer mehr Kinder seien nicht schulfähig und dann sei Freiarbeit tödlich, weil die Führung und Lenkung durch den Lehrer fehle. Die Orientierung und Anerkennung müsse durch die Erwachsenen geboten werden. In den 90er Jahren ist es gewissermaßen zu einer „Machtumkehr“ gekommen, auch wird die Oma-Generation (mit dem erhobenen Zeigefinger) vermisst!

Die neuesten Störungen breiten sich deshalb so aus, weil die Beratung bei den Eltern nicht funktioniere, Eltern gar keine Einsicht zeigen und nicht verstehen, um was es gehe. Den Kindern fehle eine positiv zuweisende Gesellschaft, das "Was will ich-Was ist mein Ziel?-Denken". Eltern und Lehrer leben zu sehr in Symbiose mit den Kindern, sprich es herrsche zu wenig Abgrenzung, Kinder sind nicht beziehungsfähig, weil sie den Gegenüber nicht als (zu achtenden) Gegenüber erkennen. Das Nichterkennen des Gegenübers führe zu Respektlosigkeit! "Diese Kinder sind nicht krank, sondern nur nicht entwickelt! Es handelt sich nicht um Verweigerung, sondern um fehlende Entwicklung!“

Es gilt deshalb für Eltern, Erzieher und Lehrer zu überprüfen, auf welcher Ebene man sich befindet. Behandelt man Kinder 1. als Kinder, 2. als Partner  oder 3. will man von diesen "geliebt" werden.

Die Lösungsschritte sehen nach Winterhoff so aus: Störungsbilder erkennen. Beziehungsprogramme herstellen. Kleinere Gruppen in Kindergarten und Schule! Eine ganztägige Vorschule mit höchstens 8-12 Kindern um den Reifegrad zu erreichen! Eltern mit einer psychiatrischen Sitzung aus den Beziehungsstörungen heraus holen und ihnen die Anweisung erteilen, wie sie mit Kindern umgehen müssen. Lehrer müssen sich verbünden, die Öffentlichkeit informieren und die Politik dafür gewinnen. "Lehrer sind sehr oft in der bedauerlichen Situation, dass Kinder mit Störungsbildern sie als Lehrer gar nicht erkennen, da sie zu Hause bei den Eltern in Symbiose leben und von diesen immer Recht bekommen", so Winterhoff.

Kinder müssen Hierarchien erkennen, benötigen eine Ritualisierung, es gilt kleinschrittig zu arbeiten und Kindern Bezugspersonen zu geben. „Gestörte Kinder haben einen Entwicklungsstand eines 8-16 Monate alten Menschens und wir fordern sie als 8-12 jährige!“ so Winterhoff. „Unter diesen Gegebenheiten muss man Theken-, Offenen- und Freiunterricht in Frage stellen? Wir brauchen ganzheitliches Denken und nicht das Lernergebnis, wichtiger ist es Beziehungen aufzubauen. Es braucht eine neue pädagogische Identifikation und eine Nervenzelle für Fremdbestimmung ist nötig!“.



Viel Applaus am Ende eines beeindruckenden Vortrags von den rund 400 anwesenden Lehrerinnen und Lehrern in der Würzburger Mittelschule am Heuchelhof.





 

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