Keine Zeit … fürs Kind

8 November 2011

Keine Zeit … fürs Kind

Wer erzieht ein Kind? Vor allem natürlich seine Eltern. Aber auch die Schule übernimmt wichtige Erziehungsaufgaben, hinzukommen Prägungen durch Freunde, Vorbilder, Milieu. Darüber, wer welchen Anteil hat und haben sollte, lässt sich lange streiten. Für viele Lehrer dagegen, das ist die überraschende Erkenntnis der soeben erschienenen Allensbach-Studie, scheint die Sache entschieden: Bei der Vermittlung moralischer Werte bescheinigen sie Schule und Elternhaus, den beiden wichtigsten Erziehungsinstanzen, wenig Erfolg.

Bedenklich – wie ich finde – ist die Tatsache, dass nur jeder dritte Lehrer glaubt, dass es ihm gelingt, seinen Schülern Werte wie Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme oder auch Höflichkeit mit auf den Weg zu geben. Nicht einmal jeder zehnte Lehrer meint, dass Eltern einen großen Einfluss auf ihre Kinder haben. Viel wichtiger seien Freundeskreis und Medien.

Das klingt besorgniserregend! Doch tatsächlich sind Kinder – und damit sage ich nichts Neues - heute von Medien geprägt wie keine Schülergeneration zuvor. Das liegt nicht nur an der Existenz von Internet und Handy, die es bedauerlicherweise längst ins Kinderzimmer geschafft haben. Kinder sind Konsumenten: kleine kauffreudige Akteure auf einem Markt, der sie mit allen Mitteln umwirbt.

So etwas prägt – wie Eltern leidvoll erfahren müssen, wenn sie ihrem Teenager mal wieder die "falsche" Turnschuhmarke gekauft haben; Turnschuhe, die nicht angesagt sind. Und die, noch schlimmer, keiner der Schulfreunde trägt. Gruppendruck gab es zwar schon immer. Aber er nimmt zu, jedoch meine ich an dieser Stelle auch die Verantwortung und Durchsetzungskraft der Eltern anmahnen zu müssen. Bin ich nun Erzieher meines Kindes oder nicht?

Grundproblem scheint mir zu sein, dass die meisten Kinder heutzutage nur noch wenige gemeinsame Zeit mit Vater und Mutter verbringen. Zeit für intensive,  prägende und tief greifende Gespräche geht dadurch verloren. Auch mit den Lehrern gibt es den Austausch nur noch während der Schulzeit. Vorbei sind die Zeiten, dass der „Dorflehrer“ am Nachmittag auch mal am Fußballplatz vorbei schaut oder die SchülerInnen beim Einkaufen trifft oder gar mit den Eltern ins Gespräch kommt, weil es die so genannten „Dorfschulen“ kaum noch gibt.

Die Schule ist eben offenbar keineswegs so, wie Lehrer sie wünschen. Die Mehrheit ist davon überzeugt, dass eine Schule nur dann gut ist, wenn sie die gezielte Förderung nach Begabungen erlaubt, wenn es geeignetes Lehrmaterial gibt und eine intensive Schülerbetreuung. Aber wie soll das bei übergroßen Klassen und den heute alltäglichen Störungsbildern von Kindern möglich sein?

Nur wenige wissen sich in so einer Schule - die meisten Lehrer können das, was sie für richtig halten, nicht in ihrem Alltag umsetzen. Da geht es ihnen nicht anders als den Eltern. Es fehlt ihnen genau das, was Kinder am dringendsten brauchen: Zeit.

Zeit für Zuwendung, für individuelle Ansprache, um Vertrauen zu schaffen - um den Kindern die Persönlichkeitsbildung zukommen zu lassen, die sie für die Anforderungen einer hochindividualisierten Gesellschaft brauchen. Zeit, die ihnen aber auch ein übervoller und in meinen Augen überzogener Lehrplan nicht lässt. Die Zeit war immer schon knapp in den Schulen, aber nun, da sie auch in den berufstätigen Elternhäusern schwindet, wird dieser Mangel zum Problem.

Eine moderne Gesellschaft muss moderne Lösungen finden: Work-Life-Balance, Teilzeitarbeit, Ganztagsschulen. Der Spielplatz Computer reicht da nicht. Aber auch die Institution Schule muss als Ganzes sich einer Überprüfung stellen. Lehren wir den Kindern wirklich das, was unsere Kinder brauchen? Wäre es nicht viel sinnvoller statt der 37sten Untergliederung von irgendeinem Thema, das Thema offen zu diskutieren und mit den Schülern zu besprechen, es vielleicht  in der nächsten Unterrichtsstunde nochmals zu wiederholen und somit zu verfestigen? Aber nein, da geht die Entwicklung der neuen Mittelschule noch viel verzweigtere Wege und spezialisiert bereits die Achtklässler in eine Richtung, die unnötig und der Persönlichkeitsbildung abträglich ist.

Es gibt noch viel zu tun und viel Diskussionsbedarf.

Ob Eltern, Lehrer oder Kinder, wir alle brauchen mehr Zeit...Foto von CFalk/ PIXELIO



 

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen