In der Regierungszentrale in Berlin dagegen geht es um das große Ganze. Wie viele neue Übertragungsleitungen braucht das Land, um den Strom aus erneuerbaren Energien aufzunehmen? Die Meinungen darüber gehen weit auseinander. So kommt eine Studie des Beratungsunternehmens Consentec - angefertigt im Auftrag des Wirtschaftsministeriums - zu dem Ergebnis, dass 500 Kilometer neuer Leitungen ausreichen. Die Deutsche Energie-Agentur (Dena) dagegen hält bis zu 3600 Kilometer neuer Übertragungsleitungen für erforderlich. Aus Sicht von Fachleuten sind die Zahlen der Dena zu hoch gegriffen.
Die Dena-Studie geht wohl von "von extremen Annahmen aus". Zudem werden die Vorteile bestimmter neuer Techniken, zum Beispiel der Einsatz der besonders leistungsfähigen Hochtemperaturseile, von der Dena nicht gebührend berücksichtigt. In meinen Augen wird insgesamt die Frage des Netzausbaus überbewertet. Das Thema wird instrumentalisiert, um den Ausbau der erneuerbaren Energien möglichst schwierig erscheinen zu lassen! Klar ist: ohne neue Netze gibt es keine Energiewende. Der Ausbau der Netze ist zentraler Bestandteil der angestrebten Energiewende. Der schnelle Ausstieg aus der Kernenergie kann nur gelingen, wenn zugleich der Anteil erneuerbarer Energien stark wächst.
Mit dem Ausbau der Erneuerbaren entwickeln sich Stromerzeugung und Stromverbrauch räumlich weit auseinander. Künftig wird der Windstrom aus den norddeutschen Küstenregionen tragender Teil der Energieversorgung sein. Die Verbrauchszentren liegen jedoch im Westen und Südwesten der Republik. Der Strom muss also quer durchs Land transportiert werden, was logischerweise neue Leitungen erforderlich macht. Der Leitungsbau könnte wegen der langwierigen Genehmigungsverfahren und wegen der Widerstände vor Ort die Energiewende verzögern. Die Bundesregierung arbeitet daher daran, die Verfahren zu bündeln und zu beschleunigen. Vor wenigen Wochen erst hat das Bundeswirtschaftsministerium die Eckpunkte für ein Netzausbaubeschleunigungsgesetz vorgelegt.
Dass das Netz in seinem jetzigen Zustand sehr bald an seine Grenzen stößt, ist unbestritten. Deshalb ist der Netzausbau dringend erforderlich, damit das Abregeln erneuerbarer Energien eine Ausnahmesituation bleibt. Tatsächlich konnten beispielsweise 2009 rund 74 Gigawattstunden aus erneuerbaren Quellen, überwiegend Windstrom, nicht ins Netz eingespeist werden, weil die Netze an ihre Kapazitätsgrenzen stießen. Das entspricht zwar nur einem Anteil von 0,2 Prozent der Gesamteinspeisung der erneuerbaren Energien, aber eben immerhin.
Deshalb hat sich der Bundesverband Windenergie (BWE) seine Aktivitäten nicht mehr nur in erster Linie bei den Übertragungsnetzen, also den "Stromautobahnen", sondern auf der Ebene der Verteilernetze, die den Strom zu den Endkunden bringen. So sind fast alle Abschaltungen von Windenergieanlagen zumeist auf Überlastungen auf Verteilernetzebene zurückzuführen. Deshalb prüft die Branche derzeit verstärkt in den Netzausbau einzusteigen. Erfreulich ist dabei die Tatsache, dass in Einzelfällen die Branche bereits bewiesen, dass sie schneller und kostengünstiger zu Resultaten komme als die Netzbetreiber.
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