Rechenfehler beim „Grundschul-Abitur“?

8 Mai 2014

Rechenfehler beim „Grundschul-Abitur“?

Vergangene Woche war es wieder soweit. Die Viertklass-Schüler/innen an Bayerns Grundschulen haben ihr sogenanntes Übertritts-Zeugnis bekommen, mit dem im Wesentlichen ihre schulische Zukunft manifestiert ist. Liegt der Notendurchschnitt unter 2,33 bedeutet dies die Eignung für das Gymnasium und liegt der Schnitt unter 2,66, dann können die Kinder auf die Realschule.


Wegen dieser ‚Empfehlung‘, verbunden mit dem Wunsch vieler Eltern ihrem Kind die bestmögliche Bildung zukommen zu lassen und dem in den vergangenen Jahren immer mehr zunehmenden Trend zum Gymnasium, wird die Grundschulzeit für viele Kinder zu einem Martyrium. Nicht zuletzt die Tatsache, dass bereits  ein Großteil der Grundschulkinder Nachhilfe-Unterricht bekommt, um diese Prozent-Hürden zu schaffen, verdeutlicht, welcher Druck hier auf Schülern lastet. Arme Kinder, wo bleibt nur eure Kindheit?




Melanie Jedryas  / pixelio.de

Melanie Jedryas / pixelio.de


Nun hat mich dieser Tage ein aufmerksamer Bürger auf eine mögliche Ungereimtheit in der Berechnung dieser Übertrittsnote hingewiesen, die ich Ihnen im Folgenden nicht vorenthalten will:


"Sehr geehrter Herr Felbinger, Ihre Partei hat dafür gesorgt, dass die Politik das Gymnasialsystem in Bayern überdenken muss. Ich wende mich an Sie, um Ihre Aufmerksamkeit auf ein Problem zu richten, welches bislang nicht in der politischen Diskussion über das bayerische Schulsystem erwähnt wurde. Die Einzelheiten sind dem beigefügten Dokument zu entnehmen, welches auch dem Kultusministerium vorliegt. Die Eckpunkte sind unten zusammengefasst.


Das folgende Beispiel zeigt, dass bei der Berechnung der Übertrittsnote in der 4. Klasse ein Rundungsfehler mit gravierenden Folgen auftritt:


Schüler A: 1,6; 2,6 und 2,6 -> Übertrittsnote 2,66


Schüler B: 2,4; 3,4 und 2,4 -> Übertrittsnote 2,33.


Schüler A hat zweimal eine deutlich bessere Note und einmal eine geringfügig schlechtere Note, doch nur Schüler B darf aufs Gymnasium gehen.


In dem beigefügten Aufsatz habe ich die Wahrscheinlichkeit von Fehlentscheidungen aufgrund der Rundungsfehler in der Berechnung der Übertrittsnote berechnet. Das Ergebnis ist erschreckend:


–          Ein Kind mit einer Übertrittsnote von 3,0 hat mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/6 ≈ 17% die Realschule nur aufgrund eines Rundungsfehler nicht geschafft,


–          Ein Kind mit einer Übertrittsnote von 2,66 hat mit einer Wahrscheinlichkeit von 17% das Gymnasium nur aufgrund eines Rundungsfehler nicht geschafft,


–          Ebenso beträgt die Wahrscheinlichkeit 17%, dass ein Kind mit einer Übertrittsnote von 2,33 das Gymnasium nur mit Hilfe eines Rundungsfehlers geschafft hat, und


–          weitere 17% der Kinder mit einer Übertrittsnote von 2,66 haben die Realschule nur mit Hilfe eines Rundungsfehlers geschafft.


–          Insgesamt werden ca. 10% der Kinder aufgrund von Rundungsfehlern in die falsche Schulart orientiert.


Meines Erachtens sind diese Zahlen so hoch, dass das oben geschilderte Problem von der Politik nicht ignoriert werden darf. Wenn man bei diesem System bleiben will, dann wäre die Lösung denkbar einfach: Die Durchschnitte in Deutsch, Mathematik, und HSU sollten zur Berechnung der Übertrittsnote mit einer Stelle nach dem Komma gerundet werden.


Ich hoffe, einen nützlichen Beitrag zur derzeitigen Diskussion über das bayerische Schulsystem geliefert zu haben und stehe Ihnen für eine Rücksprache jederzeit zur Verfügung. Über eine Stellungnahme der Freien Wähler würde ich mich freuen".


Ja, diese Zeilen machen in der Tat aufmerksam und das Rechenbeispiel zeigt sehr eindrucksvoll auf, dass ein Kind beim Übertritt nach der Grundschule nicht rein auf die erzielten Leistungen in Deutsch, Mathematik und Heimat- und Sachunterricht reduziert werden darf. Vielmehr will ich, dass ein Kind in der Grundschule ganzheitlich gesehen wird und nicht erst ein so genanntes "Grundschul-Abitur" bestehen muss, um auf das Gymnasium oder die Realschule zu gelangen.


Aus vielen Besuchen an Grundschulen habe ich aber schon die Rückmeldung, dass die meisten Grundschullehrkräfte sich bemühen beim Übertritt das jeweilige und einzelne Kind im Blick zu haben. Insofern kann man also schon davon ausgehen, dass eine Lehrkraft ein Kind nicht formal und bürokratisch lediglich  auf die mathematische Berechnung der vorhandenen Noten reduziert. Zudem: Eine Lehrerin oder ein Lehrer besitzt bei der Bewertung einer schulischen Leistung grundsätzlich immer auch ein pädagogisches Ermessen.


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Die Beurteilung der Leistungen ist deshalb nicht ausschließlich das Ergebnis eines mathematischen Prozesses. Gemäß den schulrechtlichen Vorgaben ist vor allem in der Grundschule Raum für pädagogische Bewertung und pädagogisches Ermessen gegeben. Die Lehrkräfte und die Schulleiterin bzw. der Schulleiter sind aufgefordert, den Einzelfall zu prüfen und in pädagogischer Verantwortung eine individuelle Entscheidung zu treffen. Die Lehrkraft kann deshalb sicher einen fairen und angemessenen Ausgleich erreichen, wenn es um die Beurteilung der Eignung für die Realschule und das Gymnasium geht.


Das aufgezeigte Rechenbeispiel und das Ergebnis, dass ca. 10 % der Kinder aufgrund von Rundungsfehlern in eine nicht passende Schulart gehen sollen, stellt aus meiner Sicht schon einen Ausnahmefall dar, der mit Blick auf die genannten Aspekte nicht häufig vorkommen sollte. Ich will dabei aber nicht in Abrede stellen, dass mit diesem Beispiel eine korrekte Berechnung dargelegt wird, die mich nachdenklich stimmt.


Jedoch gilt es auch festzustellen, dass das Übertritts-Zeugnis das Kind nicht allein unter dem Aspekt seiner Noten betrachten soll, sondern in mehreren Facetten. Der Sinn des Übertritts-Zeugnisses ist es, eine Empfehlung zu geben, damit ein Kind einen erfolgreichen  Schulweg beschreiten kann. Das Übertritts-Zeugnis enthält somit: die Jahresfortgangsnoten in allen Fächern, die Gesamtdurchschnittsnote aus den Fächern Deutsch, Mathematik, Heimat- und Sachunterricht, eine Bewertung des Sozial- sowie des Lern- und Arbeitsverhaltens und eine zusammenfassende Schullaufbahnempfehlung, in der die derzeitige Eignung für den weiteren Bildungsweg festgestellt wird.


Dazu kommt auch noch, dass selbst wenn die Empfehlung beispielsweise eine gymnasiale Eignung verkennen würde, die Möglichkeit besteht, am Probeunterricht teilzunehmen. Und bei Bestehen des Probeunterrichts ist der Weg zum Gymnasium ebenfalls möglich. Der Probeunterricht ist bestanden bei mindestens den Noten 3/4 oder 4/3 in Deutsch/Mathematik.  Bei 4/4 entscheidet der Elternwille nach einem Beratungsgespräch.


Ich bin fest davon überzeugt, dass dieser Vorschlag die Durchschnittsnote in Deutsch, Mathematik und HSU bei der Berechnung der Übertrittsnote grundsätzlich mit einer Stelle nach dem Komma zu runden, überlegenswert ist und wir werden diesen Vorschlag innerhalb des internen Arbeitskreise "Demokratie und Bildung" der FREIE WÄHLER Landtagsfraktion noch einmal diskutieren.


Für solche sinnvollen Anregungen bin ich wirklich dankbar und ich bin selber gespannt, wie es damit weitergeht. Ich halte Sie auf dem Laufenden.



 

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