Glückliche Kindheit = Fehlanzeige? – Der Ruf nach Veränderungen im Bildungssystem!

20 Oktober 2012

Glückliche Kindheit = Fehlanzeige? – Der Ruf nach Veränderungen im Bildungssystem!

Wohin soll der Bildungswahnsinn noch führen? Bildungstests, PISA und sonstige Studien zeigen uns immer wieder, wo die einzelnen Bundesländer hinsichtlich ihrer Bildungsqualität stehen. So war ja erst kürzlich zu lesen, dass als Erkenntnis des Bildungstests bei den Grundschülern festgestellt werden kann, dass die bayerischen Schüler nicht nur am besten Lesen, Zuhören und Rechnen können, sondern auch, dass die bayerischen Kids am Ende der 4. Klasse einen Wissensvorsprung von einem Jahr gegenüber den gleichaltrigen Kindern anderer Bundesländer haben.





S. Hofschlaeger / PIXELIO / pixelio.de


Das klingt nicht schlecht! Schulterklopfen scheint angesagt, doch frage ich mich manchmal auch, zu welchem Preis dieser Wissensvorsprung  unserer bayerischen Grundschüler zustande kommt. Wir wissen aus Untersuchungen, dass bereits jedes zehnte Grundschulkind Nachhilfeunterricht in Anspruch nimmt. Muss das sein? Diese Gedanken habe ich mir ernsthaft dieser Tage gemacht als ich folgenden Leserbrief eines besorgten Vaters aus Aschaffenburg im Main-Echo vom 12.10.2012 gelesen und darin viele hinterfragenswerte Details gefunden habe:


„Mein jüngster Sohn wurde gerade in der 4. Klasse Grundschule Bayern mit den Worten »Ab jetzt schreibt Ihr jede Woche zwei Tests« empfangen. Jeden Tag gibt es bei den Hausaufgaben Tränen. Wohlgemerkt, mein Sohn ist ein guter Schüler. Obwohl mein Kind nicht voll betroffen ist, kritisiere ich! Denn was in bayerischen Grundschulen passiert ist: wenig kindgerecht, beschämend und dazu noch gesellschaftsschädlich, da es selektiert und nicht integriert. Was in der 4. Klasse Grundschule zählt sind die drei Hauptfächer (Deutsch, Mathematik, HSU).
Die Noten 2 oder 3 sind wichtig. Sie entscheiden über die schulische Zukunft in Bayern. 2-2-3 = Gymnasium,  2-3-3 = Realschule und 3-3-3 = Mittelschule. … Im Extremfall entscheidet der Notenschnitt 2,4 (2) oder 2,6 (3) zwischen den Noten 2 oder 3. Glückliche Kindheit = Fehlanzeige. Lernen aus Lust an der Entdeckung = Fehlanzeige. Spaß an der Schule und am Lernen = Fehlanzeige. Der Lehrer als liebevoll fördernder Begleiter = Fehlanzeige. Er hat weder Zeit, noch Ressourcen dafür. Es wird gnadenlos aussortiert.
Das ist die Bildungsrealität in Bayern. Was bedeutet da bitte das Ergebnis: zehn Prozent besser als die anderen, oder sechs Monate Vorsprung bei der Lesekompetenz? Es geht in diesem System nicht um Förderung, es geht um Selektion! Später im Gymnasium geht das dann so weiter. Es wird gnadenlos aussortiert! Und die so stolzbrüstig angepriesene Förderung bedeutet dann nur noch mehr »Unterrichtung« am Nachmittag. Jedes Schuljahr müssen Schüler das Gymnasium frustriert verlassen, weil sie nicht mehr mitkommen. Die Idee, dass man nur in den Trichter fest genug hinein stopfen muss, dann wird alles besser (zehn Prozent) ist eine Idee von alten, erzkonservativen Männern und Frauen und eine Bankrotterklärung an Bildung (als Ergebnis von Freude am Wissenszuwachs).
Wer mehr wirklich mehr wissen möchte, höre nicht auf Spaenle & Co. sondern auf: Prof. Dr. Gerald Hüther, Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer (Hirnforscher), Reinhard Kahl (Bildungsjournalist) dessen Film: »Treibhäuser der Zukunft« gute, erfolgreiche und kindgerechte Schulen in Deutschland vorstellt. Prof. Dr. Christian Pfeiffer (Kriminologe, Sozialpsychologe), Richard David Precht (Philosoph), Sabine Czerny, Ursula Leppert (Lehrerinnen). Und viele, viele mehr. Aber trotzdem noch viel zu wenige.
Dann spielen »zehn Prozent besser, oder schlechter als…-« plötzlich überhaupt keine Rolle mehr. Es geht darum ein falsches System, in dem mit falscher Methodik das falsches Wissen auf falsche Art und Weise »bulimisch und kindverachtend« eingetrichtert wird von Grund auf zu reformieren. Dafür müssten wir Eltern zusammen mit unseren Kindern und zum Wohl aller Kinder in diesem Land auf die Straße gehen“.



Es ist meines Erachtens schon viel Wahres dran, was hier Thomas Witte, Vater von zwei Söhnen, anprangert. Auf einer Podiumsdiskussion dieser Tage in München vernahm ich Ähnliches: „Anforderungen, Überforderung, Stress!“ Kann das wirklich die Bildungspolitik sein, die uns glücklich macht und die wir wollen? Ich bin mir sicher, das ist sie nicht! Deshalb bin ich ebenso der Überzeugung, dass das bayerische Bildungssystem in zehn Jahren nicht mehr so aussehen wird wie anno 2012. Anpassungen an die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind unumgänglich. Es ist dringend notwendig, auf die Situation der Alleinerziehenden und Migranten sowie auf Aufgaben des Ganztagsunterrichts und Inklusion einzugehen.





S. Hofschlaeger / PIXELIO / pixelio.de


Das alles kann nicht mehr nur der Lehrer oder die Lehrerin bewältigen und auffangen. Wir brauchen zusätzliche Unterstützungsformen, so wie wir FREIE WÄHLER dies auch in unserem von der Landesdelegiertenversammlung verabschiedeten REIF-Konzept fordern: an jeder Schule ein Paket aus Sozialpädagoge, Förderlehrer und Inklusionspädagogen.


Wir brauchen außerdem ein offenes Visier für eine flexiblere Denkweise. Vorbei ist es mit einer Bildungspolitik aus einem Guss. Vielmehr benötigen wir unterschiedliche Herangehensweisen in den Schulen im ländlichen Raum und städtischen Brennpunktschulen. Wir werden dazu einen Demographiefaktor bei der Lehrerstundenzuweisung brauchen, der überhaupt den flächendeckenden Bestand der Grundschulen gewährleisten kann. Weiterhin benötigen wir mehr Eigenverantwortung an den Schulen: Schulen sollen sich ihr Lehrpersonal selbst suchen dürfen sowie eigene Finanzmittel zielgerichtet für die Bedürfnisse vor Ort einsetzen können.


Dies brauchen wir auch dafür, um vor Ort Bildungspartnerschaften mit dem örtlichen Handwerk, Unternehmern sowie Organisationen und Vereinen zu kreieren. Vorbildlich hat dies bereits die Marktgemeinde Rimpar im Landkreis Würzburg gelöst, die dieser Tage mit der örtlichen Mittelschule einen Vertrag geschlossen hat, der den Schülern der 8. Klasse nach dem Abschluss der 9. Klasse einen Ausbildungsplatz garantiert. Die Schüler dürfen allerdings in keinem Fach auf Fünf stehen und in Mathematik und Deutsch brauchen sie mindestens die Note drei. Außerdem muss jeder Schüler in den letzten beiden Jahren an der Mittelschule in Rimpar insgesamt 100 Stunden soziales Engagement zeigen und in den Ferien ein zusätzliches einwöchiges Praktikum ableisten. Im Gegenzug dafür werden die Schüler individuell gefördert. Ein in Bayern bisher einmaliges Pilotprojekt – Nachmachen ausdrücklich erlaubt.


Erst wenn es auf breiter Ebene gelingt Bildungspartner zu rekrutieren, um damit in der Erziehung (warum auch immer) verloren gegangene Lernvoraussetzungen wie Kompetenz, Kommunikation, Beziehungen und Motivation auszugleichen und zu entwickeln, können wir von einem gelungenen Wandlungsprozess in der Bildungspolitik reden. Also, runter vom hohen Ross Herr Spaenle, die Schule muss zum Lebensraum werden!



 

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