Einige Wahrheiten zum Thema G8/G9

1 April 2014

Einige Wahrheiten zum Thema G8/G9

Das Thema G8/G9 ist derzeit in aller Munde, gut so! Unser Volksbegehren hat das Thema wieder ganz nach oben auf die Tagesordnung der bayerischen Schulpolitik gebracht und es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendeine Stellungnahme und mehr oder weniger salbungsvolle Phrasen aus dem Kultusministerium dazu zu vernehmen sind. Auch ich werde tagtäglich von Lehrern, Eltern und Schülern mit Nachfragen bespielt und möchte beispielhaft an der Nachfrage einer jungen Dame hier noch einmal etwas für Aufklärung sorgen.


"Das achtjährige Gymnasium wurde von CSU-Ministerpräsident Stoiber in seiner ersten Regierungserklärung für die 15. Legislaturperiode im Jahr 2003 angekündigt und zum Schuljahr 2004/05 von der CSU überhastet und ohne gutes Konzept eingeführt. Die FREIEN WÄHLER waren zu dieser Zeit noch nicht im Bayerischen Landtag vertreten, aber hatten sich bereits damals vielfach gegen diese überstürzte Einführung ausgesprochen.


Pressefoto 2


In Ihrer E-Mail stellen Sie zu Recht fest, dass 2003 lediglich ökonomische Gründe angeführt wurden, aber keine pädagogischen. Bei dem Gesetz, das die CSU damals beschlossen hat, wurde die Notwendigkeit für G9 auch folgendermaßen begründet: „Eine Verkürzung der Schulzeit am Gymnasium von neun auf acht Jahre ist neben anderen Maßnahmen ein entscheidender Beitrag, die bayerischen Hochschulabsolventen auch in Hinsicht auf ihr Alter beim Berufseintritt konkurrenzfähiger zu machen. Die Kürzung der Schul- und Studiendauer ist auch in gesellschaftlicher Hinsicht unverzichtbar. Denn lange Ausbildungszeiten und die damit verbundene, geringere Lebensarbeitszeit belasten bei steigender Lebenserwartung die sozialen Sicherungssysteme und den Konsens der Generationen.“


Diese rein ökonomische Begründung ist aus unserer Sicht ein entscheidender Fehler gewesen, der dazu geführt hat, dass das G8 in 10 Jahren nicht zur Ruhe gekommen ist.  So erklärt sich auch die Debatte, die derzeit stattfindet. Die FREIEN WÄHLER haben bereits im Bayerischen Landtag versucht, mit einem Gesetzentwurf ein alternatives G9 zu ermöglichen, aber leider hat die CSU dies abgelehnt und so  gilt es jetzt umso mehr, über ein Volksbegehren den Wunsch vieler Bürgerinnen und Bürger für ein G9 zu realisieren. Bereits 27.000 Menschen haben sich dafür ausgesprochen und so konnte unser Volksbegehren bereits eingereicht werden.



Unsere Argumente möchte ich Ihnen hiermit kurz darlegen:


1.    Das Gymnasium hat die besondere Aufgabe, eine Bildung zu vermitteln, die zu einem Universitäts- bzw. Hochschulstudium befähigt. Es geht also am Gymnasium um Lerninhalte, die anspruchsvoll sind und die in besonderer Weise Zeit zur Vertiefung benötigen. 10 Jahre G8 in Bayern haben trotz aller Korrekturen gezeigt, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, diese Studierfähigkeit am Gymnasium problemlos in acht Jahren zu erreichen.  Eine G9-Alternative würde die notwendige Zeit zur Entschleunigung ermöglichen, um Schülerinnen und Schülern individuelle Chancen zu geben, sich zu entwickeln und die Kompetenzen zu erwerben, die sie an den Universitäten benötigen. Unser Ziel muss stets sein, dass die Schülerinnen und Schüler das Rüstzeug für die universitäre Bildung an den Gymnasien erwerben – Vorkurse an den Universitäten, um Wissenslücken zu schließen, dürfen nicht der Regelfall werden.


2.    Das Gymnasium vermittelt aber mitnichten nur Lerninhalte, sondern bildet auch die Persönlichkeit unserer jungen Menschen aus. Durch die zeitliche Komprimierung haben sich die Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler im G8 erhöht und es findet nicht bei jedem Einzelnen eine vertiefte Auseinandersetzung mit einer unterrichtlichen Fragestellung statt. Diese individuellen Problemlösungsstrategien sind es aber, die die Persönlichkeit stärken und herausbilden. Viele Schülerinnen und Schüler brauchen deshalb Zeit, um verstärkt diese Kompetenzen zu entwickeln.


3.   Inzwischen haben wir auch am Gymnasium eine heterogene Schülerschaft. Das ist gut so, denn wir wollen mehr Kinder mit Migrationshintergrund zum Abitur bringen und wir wollen die Inklusion auch am Gymnasium. Heterogenität braucht allerdings differenzierende Unterrichtsformen und individuelle Lernzeit. Auch darauf kann eine G9-Alternative durch das Plus an Zeit angemessener reagieren.


4.    Bayern - das zeigt sich regelmäßig in bundesweiten Studien - lebt in besonderer Weise vom Engagement der Menschen vor Ort in ihrer Kommune. Die Bayern identifizieren sich mit ihrer Region und ihrem Bundesland. Der Grund dafür liegt in der ausgeprägten Vereinslandschaft und dem Ehrenamt vor Ort. Freiwillige Feuerwehr, Blaskapelle und Schützen- oder Fußballverein sind fest verankert. Dennoch: alle genannten Vereine haben seit der Einführung des G8 vermehrt Probleme, Nachwuchs zu gewinnen. Eine G9-Alternative würde den schulischen Alltag entzerren, weniger Nachmittagsunterricht bringen und somit Zeit für das außerschulische sportliche oder musische ehrenamtliche Engagement ermöglichen.


5.    Die Politik soll sich an den Sorgen und Nöten der Bevölkerung orientieren. Fakt ist: Die Eltern wünschen sich laut allen uns bekannten Umfragen mit großer Mehrheit ein G9.


1900142_10201602987855763_1745808417_n



In Ihrer E-Mail sprechen Sie auch das 5-Fächer-Abitur an. Hierzu kann ich Ihnen sagen, dass für die Zulassung zur Abiturprüfung  bestimmte Vorgaben der Kultusministerkonferenz zu erfüllen sind. Daran hat sich auch Bayern zu halten. Diese Vorgaben können allerdings durch die jeweiligen Länder unterschiedlich ausgestaltet werden. An diese E-Mail angehängt schicke ich Ihnen die Vorgaben der KMK, die Sie dann in Ruhe durchlesen können. Grundsätzlich ist aber durch die KMK nicht vorgeschrieben, dass das Abitur in fünf Fächern umgesetzt werden muss. Wie sich das  Abitur  künftig gestaltet, ob und welche Änderungen notwendig sind, ist nicht leicht zu beantworten, da wir auch für die Vergleichbarkeit zwischen G8 und G9 sorgen müssen. Aber auch diese Frage wird auf den Tisch kommen und mit allen Beteiligten der Schulfamilie intensiv diskutiert werden müssen. Ähnlich gilt das auch für die Lehrpläne, aber Sie werden sicher verstehen, dass ich Ihnen jetzt nicht im Detail sagen kann, an welchen Stellen es noch Optimierungsbedarf gibt - wie Sie sagen. Grundsätzlich sind bei allen Änderungen am Lehrplan Experten aus der Schule (ehemalige Lehrkräfte) beteiligt, die am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung daran arbeiten, dass die Inhalte wissenschaftlich und fachdidaktisch fundiert sind. Im Lehrplan wird es in den kommenden Jahren in jedem Fall Änderungen geben, da alle Bundesländer aufgefordert sind, die Lehrpläne künftig auf zu erwerbende Kompetenzen auszurichten. Diese Kompetenzen gehen über reines Wissen hinaus und sollen stets konkrete Anwendungssituationen im Blick haben. Durch diese Orientierung am Erwerb von Kompetenzen soll der neue bayerische Lehrplan die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz erfüllen. Wenn Sie mehr wissen wollen, empfehle ich Ihnen, auf den Seiten des ISB nachzuschauen: http://www.lehrplanplus.bayern.de/.


Ich möchte nun auf das länderübergreifende Abitur kommen. Grundsätzlich wollen wir erreichen, dass Abiturprüfungen in einem Bundesland vergleichbar mit denen in einem anderen Bundesland sind. Das ist vor allem wichtig, wenn Schülerinnen und Schüler das Bundesland wechseln oder ihr Studiengang mit einem „n.c.“ – also einer Beschränkung durch die Abiturnote –  belegt ist. Hier ist es nur fair, wenn die Abiturleistungen vergleichbar sind. In diesem Zusammenhang wurden auch die länderübergreifenden Abiturprüfungen angedacht. Dabei ist ein Teil der Prüfung immer noch länderspezifisch und ein Teil der Aufgaben stammt aus einem „Aufgabenpool“, der durch alle beteiligten Bundesländer gefüllt wird und der vergleichbare Schwierigkeitsgrade besitzt. Denn: einige Themenbereiche sind über alle Bundesländer hinweg durchaus ähnlich und müssen sich auch in allen Lehrplänen abbilden. Allerdings können wir den Unmut vieler Lehrkräfte bei der Umsetzung der Probeklausuren gut verstehen. Das liegt vor allem daran, dass das Ministerium sehr kurzfristig die Bedingungen geändert hatte. Denn zunächst galt, dass die Schülerinnen und Schüler selbst entscheiden, wie die Übungsklausuren in der Note gewichtet werden. So sollten die Schülerinnen und Schüler wählen, ob das Ergebnis der Übungsklausur als kleiner (mündlicher) oder großer (schriftlicher) Leistungsnachweis in das Halbjahreszeugnis eingebracht wird. Doch nachdem sich abgezeichnet hat, dass die Probeklausuren in Mathematik schlecht ausfallen werden, hat das Ministerium eine Kehrtwende vollzogen, sodass die Schülerinnen und Schüler einzeln entscheiden, ob sie die Übungsklausur in Deutsch, Englisch und Mathematik als großen Leistungsnachweis, als kleinen Leistungsnachweis oder gar nicht werten wollen. Wenn also Schülerinnen und Schüler die Note gar nicht haben zählen lassen, haben z.B. Deutschlehrkräfte umfangreiche Aufsätze korrigiert, die dann aber nicht gewertet wurden. Das hat natürlich zu Unmut geführt und zur Folge gehabt, dass viele Lehrkräfte noch kurzfristig Noten machen mussten, die sie aufgrund der Vorgaben der Schulordnungen bis zum Halbjahr vorweisen mussten. Dieser Aspekt bringt gleich die Überleitung zu dem von Ihnen angesprochenen Thema der „Zeit“. Wie Sie sagen ist die Zeit etwas Beschränktes und wir sind der Meinung, dass Lernen und Bildung ausreichend Zeit benötigt, deshalb plädieren wir für mehr Zeit in einem G9.




Dieter Schütz  / pixelio.de

Dieter Schütz / pixelio.de


Dass Sie Lehramt studieren wollen und sich bereits in der Oberstufe Gedanken über Ihre Einstellungschancen machen, ist sehr zu begrüßen. Die Goethe-Universität in Frankfurt am Main hat beispielsweise herausgefunden, dass jeder vierte Studienanfänger eigentlich nie Lehrer werden wollte. Die Studienwahl sei lediglich eine „Notlösung“ gewesen, gaben immerhin 25 % der Befragten an. Das sind gravierende Befunde. Wir wollen allerdings, dass junge Menschen aus Überzeugung Lehrer werden und diesen wichtigen pädagogischen Beruf nicht aus der Not heraus wählen. Ein probates Mittel – es gibt sicher weitere – sind Eignungsberatungsverfahren für Lehramtskandidaten. Hier gibt es bereits einige positive und geeignete Verfahren an bayerischen Universitäten. An der Universität Passau gibt es mit dem Format „Parcours“ ein gutes Eignungsverfahren für alle Lehrämter. An anderen Universitäten wie Augsburg, Erlangen-Nürnberg, München, Regensburg, Bayreuth sowie Eichstätt werden Eignungsprüfungen im Fach Englisch verlangt.  Positiv ist auch das Angebot des Münchner Zentrums für Lehrerbildung, das den Lehramtsstudierenden eine begleitende Eignungsberatung anbietet.


Wie Sie sehen, haben sich die bayerischen Universitäten bereits längst auf den Weg gemacht. Dennoch sind wir FREIE WÄHLER noch nicht zufrieden und fordern, diesen Prozess zu forcieren und zwar mit dem Ziel, dass es an jeder Universität ein geeignetes Eignungsverfahren gibt.  Junge Menschen können sich mit Hilfe von Eignungsberatungsverfahren frühzeitig mit Chancen, aber auch mit Erwartungen des Berufsbildes auseinandersetzen und eine fundierte Studienwahl treffen.  Die Eignungsberatungsverfahren verstehen wir somit als Angebot, das nicht einen Studienwunsch unterbinden soll, aber es soll die Studienentscheidung schärfen. Zudem macht es aus unserer Sicht bereits Sinn, dass sich Abiturienten vertieft informieren können, sich aber auch bereits selbst testen können, ob sie Interesse oder erforderliche Kompetenzen für den Lehrerberuf haben. Gleichzeitig wollen wir auch erreichen, dass das Lehramtsstudium flexibler wird, sodass man einerseits zwischen den studierten Schularten besser wechseln kann und andererseits auch neben dem Staatsexamen einen Master erwerben kann, damit auch berufliche Wege außerhalb der Schule möglich sind.  Aber Sie haben absolut Recht, dass die momentane Einstellungssituation nicht gut ist und wir mehr Stellen im Schulsystem brauchen, denn viele Klassen sind immer noch zu groß und wenn individuelle Förderung möglich sein soll, müssen ausreichend Lehrkräfte an den Schulen sein. Dafür setzen wir uns im Bayerischen Landtag seit langem ein".



 

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen