Vom Zappel- und vom Sorgenphilipp

28 März 2013

Vom Zappel- und vom Sorgenphilipp

Die Fakten sind besorgniserregend und aufschreckend zugleich. Die Anzahl deutscher Kinder und Jugendlicher, die laut Diagnose ihrer Ärzte am sogenannten Zappelphilipp-Syndrom leiden, ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Bei sage und schreibe 620 000 Jungen und Mädchen stellten die Mediziner 2011 eine Konzentrationsstörung in Verbindung mit Hyperaktivität, dem sogenannten ADHS, fest. Im Vergleich zum Jahr 2006 ist das ein Anstieg um 42 Prozent!





Jetti Kuhlemann / PIXELIO / pixelio.de


Was ist bloß passiert in diesen fünf Jahren und was ist los mit unseren Kindern? Diese und ähnliche Fragen stellen sich Lehrer, Eltern und Wissenschaftler gleichermaßen. Anhand dieser Diagnosezahlen der größten deutschen Krankenkasse, der Barmer GEK, steht Deutschland damit an der Weltspitze was die Anzahl der ADHS-Fälle angeht!
Was können wir dagegen tun? Als Bildungspolitiker und aus Eigenerfahrung als Lehrer weiß ich, dass hier gerade kleine Klassengrößen äußerst wirksam helfen, was wir FREIE WÄHLER seit langer Zeit immer wieder und noch fordern. Schön zu beobachten war es in meiner Zeit als Lehrer stets, wenn Schüler von einer Regelschule mit relativ großen Klassengrößen jenseits der 20 zu uns an die Förderschule gekommen sind und in einem kleinen Klassenverbund (unter 15) plötzlich aufgeblüht sind und deren Bildungsweg dann eine ganz andere, positive Wende genommen hat. Eine zweite Lehrkraft sollte nach unserer Einschätzung deshalb vor allem in der 1. und 2. Jahrgangsstufen zur Differenzierung und individuellen Förderung verpflichtend werden. Ich bin sicher, damit könnte man Vieles verbessern. Das kostet natürlich Geld und es braucht dazu neue Lehrerstellen, aber: besser präventiv Geld ins System stecken als später noch teurer nachbessern.





Dieter Schütz / PIXELIO / pixelio.de


Am häufigsten wird die ADHS-Krankheit im Übrigen im Alter von zehn Jahren festgestellt. Im Jahr 2011 war jeder achte Junge dieses Alters von ADHS betroffen, dagegen litten jedoch nur 4,4 Prozent der Mädchen an dem Syndrom. Äußerst bedenklich in meinen Augen ist der von vielen Medizinern verordnete Griff zur Pille, denn mit ähnlichem Ausmaß nahm die Behandlung von ADHS mit dem Wirkstoff Methylphenidat, besser bekannt unter dem Handelsnamen Ritalin, zu. Die Anzahl der Kinder und Jugendlichen bis zum Alter von 19 Jahren, die eine solche Pille nahmen, stieg insgesamt um 35 Prozent. Das Medikament ist umstritten, unter anderem deshalb weil es nur die Symptome der Krankheit mildert, sie aber nicht heilt.


Wir FREIE WÄHLER sind überzeugt, dass auch hier der Unterricht in einer rhythmisierten Ganztagsschule unter mehr Einbringung von Fächern wie Musik, Kunst und Sport positive Veränderungen bringen würde. Aus Amerika sind Studien bekannt, die gerade dem täglichen Sporttreiben beim Zappelphilipp-Syndrom heilsame Wirkung zuschreiben. Auch diesbezüglich haben wir im Landtag im vergangenen Jahr eine Initiative gestartet, die jedoch seitens der Regierungskoalition abgeschmettert wurde. Es sei nötig, aber nicht umsetzbar, war das tolle (!) Argument.





streeckie / PIXELIO / pixelio.de


Meines Erachtens laufen wir als Gesellschaft Gefahr, dass wir eine ADHS-Generation produzieren, wenn wir nicht gegensteuern. Doch scheint mir die große Politik da derzeit schwerhörig. Ich bin sicher, Pillen sind der falsche Weg. Auffällig ist insbesondere die Verteilung der Diagnosen in der Bundesrepublik. So trat ADHS bei zehn- bis zwölfjährigen Kindern in Mecklenburg-Vorpommern kaum auf. In meinem Regierungsbezirk Unterfranken hingegen gab es mehr als doppelt so viele Fälle wie im Bundesdurchschnitt. Das ist auch im internationalen Vergleich ein hoher Wert. So bezeichnen Experten Würzburg als „Welthauptstadt der ADHS-Fälle“.


Die hohe Anzahl der hiesigen Fälle erklärt sich nach Angaben der Experten vor allem durch die vielen Kinder- und Jugendpsychologen, die in der Gegend ansässig seien. Zudem sei die medizinische Fakultät in Würzburg auf die Ausbildung von Medizinern dieser Disziplin spezialisiert. Angeblich seien die Anzahl der Fälle unter diesen Umständen eindeutig angebotsgesteuert.


Was noch ins Auge fällt ist die Tatsache, dass laut Studie junge Eltern häufiger Kinder mit ADHS haben, als ältere. Zudem trete die Krankheit in Akademiker-Haushalten seltener auf, und auch die Verschreibung von Ritalin sei dort seltener. Viele Eltern aus sozial schwächeren Schichten stünden offenbar unter hohem Druck, wenn ihre Kinder auf eine fortführende Schule wechselten. Wenn insbesondere die Jungen dann als auffällig gälten, liege das auch an deren im Vergleich zu Mädchen deutlich höherem Bewegungsdrang. Auffällig, und das gibt mir als Bildungspolitiker zu denken, ist schon, dass die ADHS-Diagnosen in einer Zeit zunehmen, in der wir erwarten, dass unsere Kinder immer früher lernen. Deshalb sage ich schon immer, gebt den Kindern mehr Zeit. Zeit für die Reife!



 

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